Der erste Urlaub im Jahr 2020. Eine Woche im 4****S Hotel Belvedere in Jenesien, 850 Meter über und mit wunderbarem Blick auf Bozen gelegen. Aber nicht nur Bozen schillert am Abend. Am Morgen schweift der Blick von unserem Zimmer mit großzügigem Balkon auf die Dolomiten, wandert vom Schlern zu den Violetspitzen und wir starten mit diesem traumhaften Panorama in den Tag. Und wenn ich dann – ohne Mund-Nasenschutz - zum leckeren Frühstücksbuffet gehe und diese Vielfalt genieße, mir am Entsafter frischen Möhren-Apfel-Ingwersaft mit einem Schuss Leinöl zubereite, mir mein Brot selbst schneide und aus den selbstgemachten Marmeladen wähle, genüsslich den Löffel in die Marillenmarmelade senke und in mein Schälchen umfülle, denke ich jeden Tag aufs Neue darüber nach, wie wertvoll solch unbeschwerter Urlaub doch ist. Etwas, was vor Corona im Urlaub selbstverständlich war, wird zum Privileg.
Diesen unbeschwerten Urlaub können wir dank eines Südtiroler Konzepts genießen, an dem unser Hotel teilnimmt. Mitarbeiter unterziehen sich regelmäßigen Tests und täglichem Fiebermessen. Gäste werden bei check-in ins Arztzimmer geführt, einen pieks in den Finger und 3 Minuten später zeigt der Schnelltest – bei uns - ein negatives Ergebnis. Ab diesem Zeitpunkt sehen wir im gesamten Hotelbereich, egal ob im Restaurant, im Schwimmbad, im Wellnessbereich, keine Masken mehr.
COVID 19 protected area
Das fühlt sich am Anfang total komisch an. Ich brauche ca. 2 Tage, bis ich nicht mehr ständig denke "Achtung, Abstandhalten!' oder beim kleinsten Husten zusammenzucke und "in Deckung" gehe.
Ich genieße es, mich ganz normal (und trotzdem mit Sicherheitsabstand) mit dem Kellner oder der Bartenderin zu unterhalten, alle Gesichter zu sehen und nicht dauernd panisch darauf zu achten, dass auch wirklich 1 1/2 oder 2 m. Abstand eingehalten werden. Und auch mit anderen Gästen kommt man unbeschwert ins Gespräch. Natürlich ist Corona immer auch Thema. Alle Gäste, mit denen ich spreche, genießen diese Freiheit und relative Sicherheit genauso wie mein Mann und ich...
...und trotzdem ist es irgendwie komisch. Auch weil man ja "draußen in der realen (Urlaubs-)Welt", beim Bummel in Bozen oder der Brotzeit auf der Alm wieder auf Alltagsmaske und die ständige Angst der Ansteckung stößt.
Privilegien
Ich habe darüber nachgedacht, warum mich das Thema nicht mehr loslässt und ich den Wunsch verspüre, die Ursache meines Gefühls zu erforschen.
Privilegien werden seit dem 19. und 20 Jahrhundert – im Sinne der Gleichberechtigung aller Menschen – kritischer gesehen. Die deutsche Psychologin und Pädagogin Birgit Rommelspacher (1945 – 2015) definiert Privilegierung als Gegenspieler der Diskriminierung: Diskriminierung erzeuge Privilegierung - Privilegierung erzeuge Diskriminierung. Insbesondere Privilegien, die mit der Geburt erworben werden, sind im Grundgesetzt der Bundesrepublik Deutschland durch Artikel 3, Abs. 3 ausgeschlossen.
Ist es also die Tatsache, dass ich es mir leisten kann, eine Woche in einem wunderschönen Hotel zu verbringen, welches noch dazu dieses fantastische Konzept eingeführt hat, dass mich das Thema auch 2 Wochen nach unserem Urlaub noch beschäftigt?
Ich denke nicht, dass es allein dieser Aspekt ist. Diese Art Urlaub haben wir auch schon vor Corona gemacht – und ich war, wie dieses Jahr auch – dankbar dafür, dass wir uns diese Auszeiten leisten können.
bewusst erleben
Ich bin – für heute - zu dem Schluss gekommen, dass mich der Wegfall der Corona bedingten Einschränkungen in diesem Hotel auch daran erinnert, wie wertvoll Urlaub ist. Und dass wir eine Urlaubsreise wieder mehr als etwas Besonderes sehen sollten. Etwas, dass man bewusst erlebt und nicht einfach so in „Schnäppchenmentalität“ für € 199,- all inclusive in rauen Mengen konsumiert.
Ich freue mich auf die Zeit, Friends & Family wieder in die Arme nehmen zu können. Ich freue mich auf unbeschwerte Treffen und Feiern. Ich freue mich darauf, den Menschen wieder ins Gesicht blicken zu können. Bis dahin wünsche ich uns allen, gesund durch diese Pandemie zu kommen – und uns auf den nächsten besonderen Urlaub freuen zu können.